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Wie erkennst Du, was „gut“ ist – und was das mit Mentoring zu tun hat?

Ich lade Dich ein darüber nachzudenken und je länger Du Dich damit beschäftigst, desto klarer wird Dir, dass die Antwort vielseitig ist. Ich reduziere sie auf vier Aspekte – von denen jedoch nur einer wirklich zählt:

  • den Kontext,
  • Deine Fähigkeiten,
  • subjektive Urteile und
  • vertrauenswürdige Personen.

Welcher davon der wichtigste ist, verrate ich Dir gleich. Lass uns zuerst die vier Kriterien anschauen.

Erläuterung der vier Aspekte

  1. Der Kontext

Mit Kontext meine ich Deine Umgebung – Deine Organisation, Dein Unternehmen oder die Bildungseinrichtung, in der Du tätig bist. In einem früheren Job habe ich die Funktion der Personalentwicklung von Grund auf neu aufgebaut. Das war spannend und herausfordernd zugleich, aber schwer zu definieren, was „gut“ bedeutet. Mit kleinen, grundlegenden Schritten habe ich die Mitarbeiter begeistert, was sehr befriedigend war – aber war es „gut“? Hätte ich es an dem Kontext und der Organisation, in der ich gearbeitet habe, gemessen, wäre es Spitzenklasse gewesen, weil ich etwas aus dem Nichts geschaffen habe. Zufrieden war ich jedoch nicht, denn ich kannte andere Unternehmenskontexte. Der Kontext kann den Fortschritt begrenzen, weil Du innerhalb eines vorgegebenen Rahmens agierst. Ein erfahrener Kollege, mit dem ich in diesem Unternehmen gearbeitet habe, nennen wir ihn Neill, lehrte mich sein Mantra, das ungefähr so lautete: „Melissa, denke daran, Deine Erwartungen hochzuhalten, auch wenn Du von Menschen umgeben bist, die Mittelmaß akzeptieren. Mittelmaß ist keine Option.“ Neill war einer meiner geheimen Mentoren, und sein geteiltes Motto „Mittelmaß ist keine Option“ ist eine der dominanten Lektionen, die ich in meinem Berufslebens mitnehmen durfte.

  1. Deine Fähigkeiten

Das zweite Kriterium, Deine Fähigkeiten, bestimmt, wie gut Du abliefern kannst und was „gut“ in Bezug auf Deine Fähigkeiten bedeutet. Ich erinnere mich an meinen Lateinlehrer, Herrn Schmidt, den wir Schüler heimlich den „weißen Hai“ nannten. Er pflegte zu sagen: „Wenn Du diese Wörter nicht lernst auswendig zu konjugieren, dann wirst Du diese Texte niemals korret übersetzen können. Carpe diem, discipula!“ (Vielleicht hat er auch discipulae gesagt, entschuldige, Herr Schmidt, aber Latein war einer der Gründe, warum ich die Schule mit einem blauen Brief verlassen habe. Nebenbemerkung für die Nicht-Deutschen: Ein blauer Brief ist in deutschen Schulen eine ernsthafte Warnung, dass man kurz vor dem Durchfallen im jeweiligen Fach steht.) Herr Schmidt war ein fairer und großartiger Lehrer, aber wenn die discipula die Konjugationen nicht gut auswendig lernen konnte, blieben die lateinischen Texte eben ein Rätsel. Meine Fähigkeit, Konjugationen zu memorieren, war schwach, und so wurde „gut“ für mich unerreichbar. Trotzdem lehrte mich Herr Schmidt etwas fürs Leben in seiner klassischen Mentorenrolle als Lehrer: Carpe diem, discipula oder discipulae! Wie auch immer 😉

  1. Subjektive Urteile

Vielleicht fragst Du Dich, warum ich von subjektiven Urteilen spreche. Ich habe diesen Begriff gewählt, um basierend auf gesellschaftlichen Normen, rechtlichen Systemen, kulturellen Werten und ethischen Prinzipien „gut“ zu beschreiben. Tätowierungen zum Beispiel haben in polynesischen Kulturen eine tiefgreifende kulturelle und spirituelle Bedeutung – sie repräsentieren die Abstammung, Lebenserfahrungen und den sozialen Status einer Person. In vielen westlichen Gesellschaften wurden Tätowierungen erst gegen Ende des 20. oder Anfang des 21. Jahrhunderts breiter akzeptiert. Sie wandelten sich vom Symbol für Rebellion und eine niedrigere soziale Schicht zu einer Form der Selbstdarstellung und Kunst. Zwei völlig unterschiedliche Perspektiven darauf, ob Tätowierungen als „gut“ angesehen werden – oder nicht. Ein weiteres Beispiel ist der Händedruck: In der westlichen Welt ein Zeichen für gute Manieren, im Nahen Osten jedoch keine angemessene Begrüßung für eine Frau. Und dann ist da noch der Faktor kultureller Unterschied beim direkten Augenkontakt. Während er in westlichen Kulturen bei einem Gespräch als Zeichen von Aufmerksamkeit, Selbstbewusstsein und Ehrlichkeit gilt, kann er in einigen östlichen Kulturen als unhöflich, konfrontativ oder respektlos empfunden werden.

Noch ein persönliches Beispiel: Bevor ich nach Katar zog, wollte ich herausfinden, ob ich in einem arabischen Land arbeiten, Autofahren und mich ohne Abaya bewegen darf. Das war elf Jahre vor der FIFA-Weltmeisterschaft, und ich kann mit Sicherheit sagen, dass die meisten Leute damals nicht wussten, wo Katar liegt, oder annahmen, dass die gesamte Arabische Halbinsel außer den Emiraten zu Saudi-Arabien gehört. Erst als ich Susi über LinkedIn traf und mich mit ihr austauschte, bestätigte sie mir: „Alles in Ordnung. Du kannst weiterhin arbeiten, einkaufen und Auto fahren, wie Du es aus Deutschland gewohnt bist.“ Ein erleichtertes Aufatmen – und Du siehst, dass eine Person den Unterschied gemacht hat und der wichtigste Aspekt ist um zu verstehen:

Wie erkenne ich was gut ist?

  1. Vertrauenswürdige Personen

Das wichtigste Kriterium, um zu verstehen, was „gut“ ist sind vertrauenswürdige Personen. Personen, die aufgrund ihrer Position oder ihrer Erfahrung vertrauenswürdig sind, und solche, die denselben Weg gegangen sind, den Du gerade gehst. Das ist auch der Grund, warum Mentoring entscheidend ist, um zu verstehen, was „gut“ bedeutet.

Ein Mentor ist eine vertrauenswürdige Person, oder die Mentorinnen, die Dir auf Deinem Weg begegnen, sind Deine vertrauenswürdigen Personen. Sie kennen Deine Herausforderungen oder können Dir bei Fragen helfen, mit denen Du Dich täglich herumschlägst. Denk an meinen Kollegen Neill, den ich beim Thema Kontext erwähnte, an Herrn Schmidt, der auftauchte, als ich über Fähigkeiten sprach, und an Susi, die den Tag rettete, als es um Katar ging. Vertrauenswürdige Personen haben mein Leben geprägt – als Mentorinnen, professionelle Freundinnen, Sparringspartnerinnen, Vorbilderinnen oder Ratgeberinnen. Es begann mit der ersten offiziellen Mentorin, Eva, die mir zeigte, dass es vertrauenswürdige Menschen gibt. Sie öffnete mir eine Welt, in der ich verstand, dass die richtigen Mentorinnen und vertrauenswürdigen Personen an Deiner Seite den entscheidenden Unterschied machen können.

Wie sehr schätzt Du vertrauenswürdige Personen und Mentoren in Deinem Leben?